Interview mit dem erfolgreichsten deutschen Roulette-Spieler der letzten 30 Jahre, Christian Kaisan, der viele Millionen an hunderten Roulette-Tischen in aller Welt gewann. Viele Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sender berichteten über seine Millionengewinne beim Roulette. Im Roulette Forum beantwortet Christian Kaisan (genannt 'Der Sachse') alle Fragen zu seiner ungewöhnlichen Karriere als Roulette-Profi und Millionengewinner.
„Zu Hause in der DDR war ich der King“
Der Profispieler Christian Kaisan über seine Abneigung gegen Dostojewski, seine Karriere als Kasinoschreck und den Traum vom ewigen Glück
Christian Kaisan, 67, verdient sein Geld in zehn Sekunden. Mehr Zeit bleibt dem selbst ernannten Roulette-Arbeiter nicht, um zwischen Abwurf und dem Kommando „Nichts geht mehr!“ den Fall der Kugel zu berechnen und Jetons zu setzen. Gut fünf Millionen Euro will der Leipziger, der seine Karriere einst im Osten als Würfelspieler begann, in den vergangenen 30 Jahren als „Kesselgucker“ verdient haben. Geblieben ist ihm davon nicht viel. Kaisan aber trauert dem Geld nicht nach: „Wichtig ist nicht, was weg, sondern was noch da ist.“
SZ: Herr Kaisan, reden wir über Geld. Haben Sie jemals Dostojewski gelesen?
Kaisan: Nein, ich meide ihn, obwohl ich seit meiner Schulzeit Tausende Bücher verschlungen habe. Aber nie Dostojewski und schon gar nicht seinen Roman „Der Spieler“.
SZ: Aus Angst?
Kaisan: Weniger aus Selbstschutz, ich mag solche Bücher einfach nicht. Dostojewski führt mir die Selbstzerstörung eines Spielers vor, die Entfesselung bis zur Selbstaufgabe, die Demütigung am Roulettetisch, diese Spielsucht, die auch noch die Liebe zerstört. Das ist nicht meine Welt.
SZ: Wir sollen Ihnen glauben, dass Sie all das nicht kennen?
Kaisan: Nein, aber muss ich mir das zu Gemüte führen? Ich weiß ja selbst, wie emotional gefährdet Spieler sind. Ich nehme mich da nicht aus, aber Emotionen gewinnen bei mir nie die Oberhand.
SZ: Was macht das Spiel mit Ihnen?
Kaisan: Wenn ich intensiv spiele, acht bis zwölf Stunden am Tag, blende ich alles andere aus. Es geht nur ums Gewinnen oder eben ums Verlieren. Wenn man gewinnt, hat man im Kopf: Wie kriege ich mehr? Wenn man verliert: Wie bekomme ich mein verlorenes Geld zurück?
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SZ: Da spricht der Zocker.
Kaisan: Mag sein, aber ich bin kein Suchtspieler mit einem flackernden Blick, wie ihn Dostojewski beschreibt.
SZ: Sondern?
Kaisan: Ich bin ein disziplinierter Arbeiter am Roulettetisch, der versucht, weitgehend ohne Emotionen zu agieren. Wer gewinnen will, der muss kalt wie „Hundeschnauze“ sein.
SZ: Und einen Plan haben?
Kaisan: Wichtiger sind das richtige Know-how und die eigenen Chancen so objektiv wie möglich einzuschätzen. Da macht man Fehler, also muss ich mich für den Verlustfall immer mit einem Limit wappnen.
SZ: Und beim Gewinnen?
Kaisan: Da wird es schwer, aber spätestens wenn ein Saalchef demonstrativ zur Decke schaut, so nach dem Motto „Willst du auch noch die Kronleuchter mitnehmen?“, sollten Spieler das Kasino lieber zügig verlassen. Denn entgangene Gewinne sind allemal besser als realisierte Verluste.
SZ: Man soll sein Glück nicht überstrapazieren?
Kaisan: Was heißt Glück? Roulette ist zu allererst ein reines Rechenexempel. Das Kasino hat gegenüber dem Spieler einen Vorteil von 2,7 Prozent des Einsatzes. Beim Setzen auf Rot oder Schwarz sind es sogar nur 1,35 Prozent. Klingt wenig, aber auf Dauer realisiert das Kasino diesen Vorteil und erzielt damit Millionengewinne. Die Masse macht’s – auch beim Roulette.
SZ: Das Kasino hat das bessere Ende für sich – auch bei Ihnen?
Kaisan: Nein, sonst hätte ich nicht in knapp 30 Jahren mehr gewonnen als verloren. Für einen Beobachtungsspieler oder Kesselgucker, wie man landläufig sagt, gelten andere Maßstäbe.
SZ: Kesselgucken – wie soll das genau gehen?
Kaisan: Man muss zunächst die Geschwindigkeit erfassen, mit der sich der knapp einen Zentner wiegende Rotor des Kessels dreht und dann abschätzen, wie weit die entgegensetzt drehende Kugel noch läuft. Von ihrem Abwurf bis zum Satz „Rien ne va plus“ bleiben mir dann nur etwa zehn Sekunden zum Rechnen und Setzen – ein nervenaufreibendes Geschäft. Denn ich muss in dieser kurzen Zeit herausfinden, wann die Kugel wohin fällt, wie weit sie nach dem Fall noch hoppelt und in welchem Sektor sie dann liegen bleibt.
SZ: Das soll funktionieren?
Kaisan: Es ging lange gut, bis man technische Hilfsmittel wie Stoppuhren verbot. Außerdem werden jetzt in den meisten Häusern statt Elfenbein- sehr harte Kunstharzkugeln eingesetzt, die oft unberechenbar beim Aufprall sind. Zudem justieren moderne Kasinos ihre Kessel nun per Computer. Damit wird jeder Wurf erfasst und jede auftretende Abweichung sofort ausgemerzt.
SZ: Und jetzt verdienen Sie nichts mehr?
Kaisan: Ich backe kleinere Brötchen. Zwei- bis dreimal im Monat mache ich noch Minitouren durch Kasinos in Ländern, wo man mich noch nicht kennt. In den jeweils vier bis fünf Tagen kann ich, wenn es gut läuft, mit kleinen Einsätzen zwischen drei- bis fünftausend Euro verdienen.
SZ: Wann haben Sie mit dem Spielen angefangen?
Kaisan: Es ging los, als ich mit Ende 20 auf die Pferderennbahn in Leipzig-Scheibenholz gegangen bin.
SZ: Gleich auf das richtige Pferd gesetzt?
Kaisan: Das kann man so sagen, nur nicht auf der Rennbahn, sondern draußen vor dem Tor. Da standen doch mitten im Sozialismus Leute um Würfeltische herum. Und das war noch nicht mal verboten. Die DDR hatte in ihrem 1968 eingeführten neuen „sozialistischen Strafrecht“ einen Glücksspiel-Paragraphen schlichtweg vergessen. Da haben unsere Werktätigen ganz legal privat gespielt und gezockt.
SZ: Wir ahnen, das war der Anfang einer wundervollen Karriere.
Kaisan: Nicht wundervoll, eher wundersam. Bald hatte ich meinen eigenen Tisch mit einem eigens dafür ausgedachten Würfelspiel. Später kam dann noch Roulette dazu, aber das haben wir dann schon in Privatwohnungen gespielt.
SZ: Was kam da so rum?
Kaisan: Ich habe etwa eine halbe Million Ostmark in fünf Jahren verdient und wie eine Made im Speck gelebt: Ich habe mir zum Beispiel für 140.500 Ostmark in der HO Schmuckwaren einen Brillantring gekauft. Die Summe entsprach damals etwa 20 Facharbeiter-Jahresgehältern im Osten. Ja, auch das gab es im Sozialismus.
SZ: Trotzdem wollten Sie lieber rüber in den Westen machen. Warum denn?
Kaisan: Ach, dafür gibt es viele Gründe: Zu Hause der King, im Urlaub in Bulgarien gegenüber den Wessis nur zweite Klasse, das wollte ich mir nicht mehr antun. Ansonsten: Großes Maul gegenüber der Staatsgewalt gehabt, in den Knast gekommen, Ehe gescheitert, die Stasi im
Nacken.
SZ: Haben Sie 1981 gleich nach Ihrer Ausreise nach Westdeutschland als Spieler angefangen?
Kaisan: Nein, als Straßenkellner eines Speiselokals auf der Hamburger Reeperbahn, der die Nutten in ihren Häusern mit warmem Essen versorgt hat. Das brachte pro Nacht so um die 150 DM ein.
SZ: Nie zu jener Zeit ans Spielen gedacht?
Kaisan (lacht): Oh doch, über drei Jahre lang bin ich durch die Kasinos gestreift und habe dort stundenlang beobachtet und notiert, wie Kessel und Kugeln rotieren. Bald kannte die Spielergemeinde mich – diesen Mann mit dem immer selben Anzug und dem komischen Dialekt.
SZ: Wie haben die Spieler reagiert?
Kaisan: Zunächst mit Spott und Häme. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie mir ein alter Zocker zuraunte: Wir haben alle schon vergeblich versucht, die Kugel aufs Kreuz zu legen. Da haben wir gerade noch auf so einen Knallkopp aus Sachsen gewartet.
SZ: Daher der Name „Der Sachse“, oder?
Kaisan: Diesen Titel bekam ich erst, als ich mit meiner Kesselguckerei erfolgreich war. Aber angefangen hat alles im Hittfelder Kasino bei Hamburg. Die hatten damals ein amerikanisches Roulette mit ganz tiefen Fächern und einer Kugel, die nicht hoppelte, sondern aufschlug wie ein Stein – ideal für einen Kesselgucker.
SZ: Mit dem Ergebnis?
Kaisan: Dass ich dort zusammen mit einem Partner in sechs Wochen so um die 70.000 Westmark verdient habe, die ich leider viel zu schnell verprasst habe.
SZ: Wie viel haben Sie in dieser guten Zeit verdient?
Kaisan: Umgerechnet werden es gut fünf Millionen Euro gewesen sein, die ich in mehr als 25 Jahren den Kasinos weggenommen habe. Allerdings habe ich das meiste davon lustvoll „verrührt“. Hauptsächlich für Reisen in bisher 80 Ländern, für Zwölfzylinder-BMWs, einen Ferrari Testarossa und einen Lamborghini. Schließlich habe ich mir nach der Wende auch noch ein Wasserschloss in Westerburg, Sachsen Anhalt, gegönnt. Drei Millionen habe ich in diese Perle gesteckt. Danach war mein Geld alle und ich froh, dass ich das Schloss wenigstens für anderthalb Millionen wieder losgeworden bin.
SZ: Eine Burg, große Schlitten und Kasinobesuche in der halben Welt – kaum einer glaubt Ihnen das, wenn man im Internet nach dem Sachsen fahndet. Wer spinnt da?
Kaisan: Ach, diese Roulette-Internetforen, da tummelt sich ein Heer von selbstsüchtigen Möchtegernen und Spielern. Hier sind meine Pässe mit allen Einreisestempeln, auch habe ich noch Fotos vom Lamborghini, hier sind die Kaufverträge von der Burg. Ich zeige Ihnen alles, nur meinen aktuellen Kontostand nicht.
SZ: Wann ging es mit der Spielerei bergab?
Kaisan: Das begann eigentlich schon 1991, als mich Casino Austria wegen Benutzung einer Stoppuhr gesperrt hat. Die Österreicher haben zugleich andere Spielbanken in halb Europa vor mir gewarnt. Dabei sind technische Hilfsmittel erst zwei Jahre später in Österreich per Gesetz verboten worden. Seitdem bin ich in den meisten deutschen und vielen europäischen Kasinos gesperrt.
SZ: Wohin sind Sie ausgewichen?
Kaisan: Erst nach Australien und Süd-Amerika und dann natürlich nach Las Vegas – noch immer mein Sehnsuchtsort für das Glück. Aber auch dort haben mir die Saalaufseher nach dem zwanzigsten Besuch bedeutet: Nichts geht mehr! Du musst setzen, bevor der Croupier die Kugel wirft. Nur kannst du damit als Kesselgucker nicht mehr gewinnen, weil ich eben die kurze Zeit zwischen Abwurf und „Nichts geht mehr“ für das halbwegs richtige Setzen benötige.
SZ: Wie lange wollen Sie noch weitermachen?
Kaisan: Ein paar Jahre schon noch. Ich werde im Herbst 68, lebe seit 2004 wieder in Leipzig, bekomme 364 Euro Rente und habe nicht besonders für das Alter vorgesorgt. Ich muss weiterarbeiten und will es auch – gewinnen ist für mich Lebensfreude.
SZ: Trotzdem müssen Sie nun bescheidener leben?
Kaisan: Ich achte jetzt mehr auf mein Geld. Zu den Spielorten fliege ich schon lange nicht mehr First Class, sondern mit Ryanair. Meinen letzten großen BMW habe ich voriges Jahr verkauft. Ich fahre seitdem mit einem Kia-Kombi herum.
SZ: Bleibt die ewige Frage: Macht Geld glücklich?
Kaisan: Ich glaube, dass kein Geld unglücklich macht. Geld verschafft mir Selbstsicherheit. Oder wie mir einmal ein Leipziger Opernsänger sagte: Mit richtig Geld in der Tasche singt es sich einfach besser.
Interview: Steffen Uhlmann
(veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 08.06.2012)